WISSENSCHAFT
Zuchtstrategie für dienst- und sporttaugliche Welpen

Lange habe ich mir Gedanken gemacht, welcher Rüde das richtige Pendant zu Nell ist um wesensfeste Belgier zu züchten, die -wie sie- sowohl durch Nervenstärke, als auch durch Umweltsicherheit bestechen. Hunde, die in verschiedenen Bereichen kompromisslos mit Kopf und Herz arbeiten können und wollen. Hunde, die sich konfliktfrei und offen jeder Situation stellen wollen.

Ich habe Linien durchforscht, überregionale Prüfungen verschiedenster Bereiche besucht, stundenlang Videos angesehen, viel telefoniert um Für und Wider abzuwägen.
Ich habe recherchiert, verworfen, neu zusammengesetzt, dabei genetische Komponenten und epigenetische Grundlagen kombiniert.

Und schließlich konnte ich Udo Gansloßer, meinen wissenschaftlichen Mentor in Sachen Hund, der mir immer mit offenem Ohr und Herz zur Seite steht, und sein Team als wissenschaftliche Partner zur Realisierung unserer Zuchtstrategie, zur Begleitung der Trächtigkeit und für die Welpenaufzucht unseres A-Wurf gewinnen.
Ein Pilotprojekt für alle Beteiligten.

Weil wir nie auslernen und wir unseren Horizont immer offenhalten.
Weil wir bereit sind Spuren im Sand zu hinterlassen.
Weil einander helfen: so werden wir dem wissenschaftlichen Team für die Forschung Videos und ausgefüllte Fragebögen zukommen lassen.

Entwicklung einer möglichen Zuchtoptimierungsstrategie für die Malinoishündin
Nell des Fauves de Malines

PD Dr. Udo Gansloßer Verhaltensbiologische Beratung Filander Verlag GmbH

Die Hündin soll für eine möglichst zielorientierte Zucht von möglichst schutzdiensttauglichen Nachkommen genutzt werden, und die folgenden Ausführungen beziehen sich insbesondere auf die Fragen der Umweltbeeinflussbarkeit früher Welpenentwicklung, d.h. so lange sich Welpen noch im Besitz bzw. unter Einflussnahme der Züchterin befinden.

Dazu werden zunächst einige allgemeine Grundlagen über Erblichkeit und Persönlichkeitsangaben bei Hunden, speziell der Rasse Belgischer Schäferhund / Malinois zusammengetragen.
Im Anschluss daran sollen die Stadien der Welpenentwicklung referiert werden, um eine möglichst optimale Ausstattung der Aufzuchtumgebung zufinden.
Im letzten Teil werden dann konkrete Hinweise und Empfehlungen erstellt, wie die Aufzuchtumgebung und die Aufzuchtsituation für das gewünschte Ziel, Polizei-and andere diensttaugliche Hunde zu züchten, aussehen könnte.

1. Erblichkeit des Verhaltens, speziell der Rasse Malinois

Die Heritabilität bezeichnet den Anteil der Variation des Phänotyps eines Merkmals, der auf die Variation des Genotyps zurückzuführen ist. Phänotyp bezeichnet die Ausprägung eines Merkmals, sei es Verhalten, Anatomie, spezifische Optik. Der Genotyp ist das Erbgut des Tieres. Wenn wir zum Beispiel über die Heritabilität von Aggression bei Hunden sprechen, gehen wir darauf ein, wie viel der Aggression von Hund zu Hund auf Variationen des Genotyps zurückzuführen ist. Im weiteren Sinne ist die Variation eines Merkmals, die nicht durchUnterschiede in den Genen erklärt wird, eine Folge nicht genetischer Faktoren, die gemeinhin als "Umweltfaktoren" bezeichnet werden.

Durch neuere Untersuchungen, insbesondere im Zusammenhang mit dem als Erbe-Umwelt-Verschränkung bezeichneten, auch als Epigenetik zusammengefassten Einflussfaktoren wird jedoch klar, dass dieses einfache, nur auf Umweltfaktoren oder echter Genetik im Sinne von DNA-Struktur basierende Modell wohl zu einfach ist.
Unter dem Begriff der Erblichkeit oder Heritabilität verbergen sich nämlich durchaus echte genetische wie auch epigenetische Einflüsse. Letztlich gibt die Heritabilität ja an, wie viel Prozent der Variation im Verhalten eines Hundes durch die Kenntnis gleicher Testergebnisse seiner Vorfahren vorhersagbar wären. Da aber, gerade im Bereich mütterliches Verhalten, s.u., mittlerweile bekannt ist, dass Traditionen von guter oder schlechter Mutterleistung über mehrere Generationen weitergegeben werden können, ist mit dem rein rechnerischen Faktor der Erblichkeit nicht nur die DNA-abhängige echte Genetik gemeint.
Auch muss darauf hingewiesen werden, dass es mehrere Ursachen für eine geringe oder hohe Erblichkeit gibt.

Einerseits kann eine geringe Erblichkeit darauf zurückzuführen sein, dass für das betreffende Merkmal bereits fast keine Variation in der Population mehr vorhanden ist. Wenn also durch sehr strenge Selektion, oder durch hohe Inzucht und andere genetische Verluste, bereits das Merkmal in der Grundpopulation fast bei allen Angehörigen gleich ausgebildet ist, kann auch nur noch eine sehr geringe Varianz auftreten, und diese geringe Varianz kann dann auch nur als geringe Heritabilität errechnet werden.

Andererseits kann es bedeuten, dass das betreffende Merkmal nicht von einem, sondern von mehreren, unabhängig vererbten Genorten beeinflusst ist. Auch dann ist die Vorhersagbarkeit im Einzelfall sehr gering, man denke an das bunte Farbchaos selbst in Würfen von Vollgeschwistern bei britischen Hütehunden, beispielsweise bezüglich der Farbverteilung.

Der dritte Grund kann dann wiederum sein, dass die Umwelt wirklich einen sehr großen Einfluss auf die Ausgestaltung des Phänotyps hat, und das betreffende Merkmal nur zu einem sehr geringen Teil von genetischen Faktoren beeinflusst wird.
Nicht immer lassen sich die genannten Mechanismen bei Hunden bereits eindeutig voneinander isolieren.

Für die Entwicklung einer Zuchtstrategie sind diese feinen Unterschiede jedoch zunächst in der Praxis nicht so relevant, da es in jedem Falle bedeutet, dass auf das betreffende Merkmal in einer Zuchtanlagenprüfung nicht besonders großer Wert gelegtwerden muss. Oftmals wird sogar unnötig genetische Variabilität in einer Population verschenkt, wenn Hunde aufgrund eines mit geringer Erblichkeit belegten Merkmals in der Zuchtanlagenprüfung schlecht bewertet oder gar aus der Zucht ausgeschlossen werden.

Ebenso muss beachtet werden, dass die Erblichkeitswerte zwischen Rassen und innerhalb von Rassen sich sehr stark unterscheiden. Mac Lean et al(2019) zeigen, dass die Erblichkeiten für Rasseunterschiede sehr groß sind, für die Variabilität innerhalb derRasse dagegen (s. u.) eher klein.
Dies bedeutet, dass in der Vergangenheit eine sehr strenge Selektion auf die möglichst optimale Ausprägung eines Merkmals in den Arbeits- und anderweitig genutzten Hunderassen stattgefunden haben muss.
Innerhalb der Rassen dagegen sind offensichtlich Umweltfaktoren, Sozialisation etc. wesentlich bedeutsamer.
Die Studie von MacLean, die Ergebnisse des vor allem im englischen Sprachraum verbreiteten Persönlichkeitsfragebogens C-BARQ, mit molekulargenetischen Analysen verknüpft hat, kam für Rasseunterschiede in verschiedenen Verhaltensmerkmalen auf Werte zwischen 0,27 und 0,77, also in einem Bereich, der durchaus mit der Erblichkeit körperlicher Merkmale übereinstimmt.
Die Werte waren dadurch etwa fünfmal so hoch wie für die Erblichkeitsfaktoren innerhalb einer jeweils betrachteten Rasse.
Hradecka et al (2015) für den Belgischen Schäferhund –Malinois aufgrund der von Courreau und Langlois (2005) s.u. erhobenen Werte neu eine Erblichkeit von 0,135 (mit Varianz von 0,012-0,168) für die Verhaltensweisen des Jagdkomplexes, und 0,130 (0,016-0,242) für als psychische Charakteristika zusammengefassten Temperamentsmerkmale. 

Als die Merkmale mit der höchsten Heritabilität werden bei Hunden allgemein Trainierbarkeit (h2 = 0,73), Aggression gegenüber Fremden (h2 = 0,68), die Hetzen als Teil des Jagdverhaltens (h2 = 0,62) und die Bindungsbereitschaft sowie das Interesse an menschlicher Aufmerksamkeit / Zuwendung angesehen (h2 = 0,56).
Das schließt sich der Hypothese, dass diese Verhaltensweisen die bedeutsamsten während der Domestikation des Hundes waren und daher intensiv seitens des Menschen selektiert wurden, an (Houpt, 2007).
Jedoch ist aufgrund eines Vergleichs verschiedener, als Welpen-und Junghundetest üblicher Verfahren von Mc Garrity et al (2015) gerade für die unter Trainierbarkeit zusammengefassten Merkmale nur eine sehr geringe Übereinstimmung von mehreren befragten Experten zu erkennen gewesen.
Nur drei Prozent der in verschiedenen sogenannten Welpen- oder Junghundetests abgefragten Situationen werden zuverlässig von allen in dieser Arbeit verwendeten Experten dem Themenbereich Trainierbarkeit zugeordnet.
Die höchste Übereinstimmung bei der Experteneinordnung verschiedener solcher Tests hat der Faktor Soziabilität mit 26% und Ängstlichkeit und Nervosität mit 21% erhalten. Dies zeigt nebenbei wieder einmal die Fragwürdigkeit von Welpen- und Junghundetests, wenn sich selbst ein halbes Dutzend sehr erfahrene Expert/innen nicht auf die Zuordnung verschiedener Testsituationen zu den genannten Persönlichkeitsmerkmalen einigen können.

Rassen unterscheiden sich in ihren Merkmalen stark.
Arbeitsrassen unterscheiden sich wesentlich von Familienhunderassen. Im Vergleich zu nicht arbeitenden Rassen weisen Arbeitshunde höhere Werte für Spielinteresse gegenüber dem Menschen (HDPI), Trainierbarkeit (TRAIN) sowie Energielevel (EN) und Erregbarkeit (EX) auf.
Die Arbeitsrassen zeigen im Vergleich zu Familienhunderassen eine stärkere Aggression gegen Hunde (DDA), jedoch keine Angst gegenüber Fremden (SDF) und keine nicht-soziale Angst (Angst gegenüber unbekannter Umgebung, Angst gegenüber Gegenständen, Geräuschangst) (NSF) (Eken Asp et al., 2015).
Das rassetypische Verhalten in Bezug auf Trainierbarkeit und Extraversion oder Wagemut scheint teilweise durch die Genetik bestimmt zu sein. Die geschätzte Heritabilität der Merkmale ist gering und liegt zwischen 0,05 (5%) und 0,21 (21%).
Einige Merkmale sind korreliert; Selbstvertrauen und Nervenstabilität haben eine genetische Korrelation von 0,98 und Schärfe und Defensivverhalten von 0,93 -das heißt, dass selbstbewusste Hunde beispielsweise oftmals eine deutlich höhere Belastbarkeit aufweisen.
Malinois hatten eine sehr hohe, fast doppelt so hohe Vererbbarkeit für Verspieltheit (0,61) wie Deutsche Schäferhunde (0,32), davon abgesehen zeigen sich alle weiteren Verhaltensmerkmale wie Umgänglichkeit („Playfulness“), Neugier / Furchtlosigkeit („Curiosity / Fearlessness“), Aggressivität („Aggressiveness“) und  Jagdverhalten („Chaseproness“) jedoch mit moderater bis geringer Vererbbarkeit (Kess, 2019).

Innerhalb der Varietäten des belgischen Schäferhundes zeigen sich signifikante Unterschiede.
Groenendals scheinen eine geringere Erregung zu zeigen. Sie neigen weniger zur übertriebenen Begrüßung der nach Hause zurückkehrenden Besitzer, zum Buddeln / Graben und Kammaufstellen beim Zusammentreffen mit anderen Hunden.
Malinois zeigten stattdessen mehr folgende Verhaltensweisen: Fangen von Objekten (Spielverhalten mit Menschen), Aufstellen des Kamms beim Zusammenreffen mit anderen Hunden (Aggression gegenüber anderen Hunden) und Verteidigung des Territoriums (Aggression gegenüber Fremden).
Außerdem zeigten Malinois weniger Angst bei Gewittern und lauten Geräuschen (Nicht-soziale Angst) als andere zwei Varietäten.
Die vererbbarsten Fähigkeiten (0.15) sind diejenigen, die in komplexen Situationen abgerufen werden.
Malinois benötigen gleichzeitig Gehorsam, ein großes Lernangebot, ein hohes körperliches Potenzial und eine sehr gute geistige Verfassung -zu solchen zählen beispielsweise Trainierbarkeit und Orientierung am Menschen (Courreau & Langlois, 2005).

Persönlichkeitseigenschaften, bisweilen auch als Temperament bezeichnet (obwohl die beiden Begriffe nicht vollständig deckungsgleich sind, siehe Miklosi et al 2014) werden häufig durch rein statistische Zuordnungvon verschiedenen Fragekomplexen in einem umfassenden Persönlichkeitsfragebogen einsortiert. Der gebräuchlichste ist der bereits erwähnte C-BARQ, dessen Ergebniss für den Belgischen Schäferhund –Malinois von Prof. Serpell, dem Errichter dieser Datenbank,zur Verfügung gestellt wurden.

Die wichtigsten und entscheidenden Persönlichkeitsfaktoren sind beispielsweise auch im von Turcsan et al (2011) verwendeten Fragebogen der Budapester Arbeitsgruppe erfasst, der auch, weil bereits auf Deutsch übersetzt und validiert, in unserer Studie verwendet wird.

Hier ergeben sich die Persönlichkeitsachsen
  • emotionale Stabilität (versus Launenhaftigkeit und Neurotizismus)
  • Offenheit für neue Erfahrungen (bisweilen als Trainierbarkeit bezeichnet (was aber eben mehr mit Neugier, allgemeiner Lernbereitschaft etc. zu tun hat und weniger mit der Frage, wie und wie schnell der Hund Sitz oder Platz zu lernen bereit ist)
  • Geselligkeit mit Hunden-Extraversion versus Intraversion
  • Gewissenhaftigkeit und Ausdauer im Verfolgen von Zielen, allerdings in der Turcsan et al Studie nicht berechnet, da keine ausreichende statistische Koppelung vorlag.

Der Belgische Schäferhund –Malinois erreicht in der Studie von Turcsan et al
  • Platz 88 von 96 für emotionale Stabilität
  • Platz 15 von 96 für Trainierbarkeit
  • Platz 88 für Geselligkeit mit Hunden
  • Platz 30 für Extraversion
und wird durch Clusteranalyse der genannten Studie in die Gruppe der trainierbaren und extravertierten Rassen einsortiert.

Sowohl Nell, als auch Ingo, unterscheiden sich sehr stark und durchaus positiv von diesem Rassedurchschnitt:

Nell hat
  • 8 von 8 Punkten für Gelassenheit
  • 10 von 10 für Trainierbarkeit
  • 8 von 8 für Geselligkeit
  • 3 von 6 für Extraversion
Für die Emotionalität gibt es leider noch keine rassetypischen Vergleichswerte (das ist Teil des aktuell laufenden Projektes).
Hier erreicht Nell:
  • negative Disposition (Pessimismuswert) 12/50
  • positive Aktivierung 19/20
  • Beharrlichkeit (Sturheit) 7/20
  • Erregbarkeit 4/10
  • Mangelnde Selbstbeherrschung 14/50
  • Xenophobie/Neophobie 8/25
  • Reaktivität 21/25

Ingo erreicht
  • 8 von 8 für Gelassenheit
  • 10 von 10 für Trainierbarkeit
  • 4 von 8 für Geselligkeit mit Hunden
  • 3 von 6 für Extraversion.
  • negative Disposition (Pessimismuswert) 18/50
  • Positive Aktivierung 20/20
  • Beharrlichkeit (Sturheit) 7/20
  • Erregbarkeit 6/10
  • Mangelnde Selbstbeherrschung 14/50
  • Xenophobie/Neophobie 7/25
  • Reaktivität 17/25
Dadurch ergeben sich, wenn die Persönlichkeitsfaktoren zumindest mit einem moderaten Erblichkeitswert (s.u.) belegt werden können, durchaus günstige Voraussetzungenfür die Welpen aus der Verpaarung Ingo x Nell.

Zur Erblichkeit von Persönlichkeitsfaktoren bei Hunden liegen jedoch, wiebereits erwähnt, nur vergleichsweise wenige Daten vor.
Zwar sind die Erblichkeiten für Persönlichkeitseigenschaften, etwa Temperament, Nervosität etc., allgemein größer als Erblichkeiten für Einzelmerkmale, trotzdem liegen sie in den wenigen dazu veröffentlichten Studien an Hunden meistens im Bereich von 0,2 und 0,3.

Die beiden als Supereigenschaften B- und A-Typ (scheu und wagemutig) bezeichneten Komplexe sind mit Erblichkeiten von ca. einem Drittel vergleichsweise hoch bewertet, die meisten, den Einzelachsen des oben verwendeten Fünf-Faktoren-Modells zugerechneten Themenkomplexe weisen Erblichkeiten von 0,2 auf.
Meyer et al. stellten hervor, dass die Heritabilität von Verhaltensmerkmalen im Allgemeinen gering ist, die Aggressivität von Hunden gegenüber Menschen und Artgenossen korreliere allerdings genetisch signifikant mit dem Persönlichkeitsmerkmal Umgänglichkeit - die Vererbbarkeit dieses Merkmals ist moderat. Das heißt, gesellige und umgängliche Hunde zeigen eine höhere Wahrscheinlichkeit, verträglich gegenüber Menschen und Hunden zu sein. (Eken Asp et al, 2015)
Die geschätzten Heritabilitäten aus einer Studie an schwedischen Hundenbewegten sich zwischen 0,08 und 0,38, wobei die höchste Heritabilität für das Spielinteresse gegenüber dem Menschen. festgestellt wurde.
Es wurden positive genetische Korrelationen zwischen Aggression und Angstmerkmalen gefunden.
Verträgliche und gesellige Eigenschaften zeigten eine negative genetische Korrelation sowohl mit Aggressions-als auch mit Angstmerkmalen (Eken Asp et al., 2014)

Saetre et al. zeigte, dass "Shyness-Boldness" als verallgemeinertes Merkmal, dem viele Verhaltensmerkmale wie Verspieltheit, Jagdverhalten, Neugier / Furchtlosigkeit, Aggressivität und Kühnheit zugrunde liegen, eine geringe Vererbbarkeit von 0,25-0,27 aufweist (Saetre et al., 2006).
Die Berücksichtigung einer genetischen Grundlage des Verhaltens  kann jedoch für die Auswahl eines bestimmten Merkmals hilfreich sein. Das heißt, dass bei auch eine vergleichsweise geringe Vererbbarkeit zuchttechnisch berücksichtigt werden kann, um jene Merkmale abzumildern oder zu stärken (Houpt et al., 2015).

Junge Hunde werden stark beispielsweise von der Art und Weise, wie sie aufgezogen und trainiert wurden, beeinflusst.
Hunde, die im Welpenalter einem Verhaltenstest unterzogen wurden und später entsprechend der Ergebnisse aufgezogen werden, zeigen eine höhere Wahrscheinlichkeit, die vorausgesagten Wesensmerkmale später ausgeprägt zu zeigen. Dies könnte erklären, warum sich einige Welpentests als aussagekräftig herausgestellt haben, andere jedoch nicht.
Der ideale Zeitpunkt für die Auswahl von Hunden für Training und Zucht ist daher jener, zudem die gewünschten Merkmale in einem verlässlichen Ausmaß gereift sind und eine gültige Bewertung in Bezug auf zukünftige Verhaltensmuster und Trainingsresultate vorgenommen werden kann (Wilsson, 2016).

Eine Studie von Serpell & Duffy (2016) zeigt, dass Hunde, die im Zeitraum zwischen dem 6. und 12. Monat:
  • in Haushalten mit hundeerfahren(er)en Betreuungspersonen
  • mindestens einem anderen Hundeführer
  • und ohne schlechte Erfahrungen mit fremden Hunden oder Menschen aufwuchsen,
als Assistenz- und Therapiehunde später besser geeignet waren, ua wegen größerer positiver sozialer Tendenz und geringerem Ausmaß von Furcht gegenüber Fremden, und bessere Testergebnisse/Ausbildungserfolge erzielten.

In einigen Fällen liegen auch bereits konkrete Angaben zu molekularbiologischen Zusammenhängen und anderen Eigenschaften der Rasse Malinois vor:
Bei Malinois, die besonders erregbar sind und eine schlechte Regulierung ihrer Emotionen zeigen, lässt sich häufig sogenanntes "Kreiseln" -ein Im-Kreis-Laufen des Hundes, beobachten.
Malinois, die in hoher Erregungslage weniger zu diesem Verhalten neigen, zeigen eine bessere Arbeitsleistung, da sie eine bessere Arbeitsmotivation und eine bessere Verhaltenskontrolle zeigen.
Aber auch Malinois, die gar nicht kreiselten, hatten schlechtere Arbeitsleistungen.
An diesem ausgewogeneren Verhalten ist ein Gen, das CDH2-Gen, beteiligt, das bei Malinois mit ausgeglichenen Verhaltensmerkmalen assoziiert wird (Cao et al., 2014)
Beim Malinois spielt ein weiteres Allel eine wichtige Rolle:
Das Einzelexemplar-Allel von DAT-VNTR ist bei Malinois überrepräsentiert und steht im Zusammenhang mit epileptischen Anfällen, mangelnder Reaktion auf Umweltreize, episodischer Aggression und Hypervigilanz (erhöhte Wachsamkeit, die mit erhöhter Erregung einhergeht) (Lit et al., 2013)

Bei Hunden mit pathologischer Aggressivität, auch bei jenen der Rasse Malinois, wurde eine Vergrößerung des basolateralen Komplex im Gehirn, genauer im Mandelkern, einem wichtigen emotionalen Teil, um 40% im Vergleich zu nicht-aggressiven Hunden beobachtet.
Der basolaterale Komplex ist zuständig für emotionale Erregung bei Hunden - er besteht aus den lateralen, basalen und akzessorischen basalen Kernen der Amygdala.
Die lateralen Kerneerhalten den größten Teil der sensorischen Informationen, die dann vom basolateralen Komplex verarbeitet und an den zentralen Kern der Amygdala gesendet werden. Auf diese Weise entsteht bei Säugetieren die meiste emotionale Erregung (Jacobs et al, 2006).
Bei einer Untersuchung von 30 Militärhunden zeigten fast alle der belgischen Militärarbeitshunde ein hohes Maß an angstbedingter Aggression.
Die meisten Hunde (83,87%) zeigten während des Tests mindestens einen für aggressives Verhalten charakteristischen Akt.
In 69,35% der Fälle zeigten sich die Hunde rückwärtsgerichtet und wiesen Anzeichen von Ängstlichkeit in ihrer Körperhaltung auf (Haverbeke et al., 2008)

Artenübergreifende Persönlichkeitsstörungen und Angststörungen werden durch genetische und umweltbedingte Faktoren beeinflusst.
Sowohl die genetische Prädisposition, aber auch die Sozialsation und die Umwelt des Individuums spielt eine große Rolle.
Tiira et al (2015) fanden heraus, dass ängstliche Hunde im Welpenalter weniger Sozialisationserfahrungen(p = 0,002) und eine geringere Qualität der mütterlichen Fürsorge hatten (p <0,0001).
Überraschenderweise war der größte Umweltfaktor, der mit Lärmempfindlichkeit (p <0,0001) und Trennungsangst (p = 0,007) in Verbindung gebracht wurde, die Menge an täglichem Training; Hunde mit Lärmempfindlichkeit und Trennungsangst hatten weniger tägliche Bewegung (Tiira et al., 2015).

Angst ist ein wesentlicher Motivationsfaktor für aggressives Verhalten. Caninen Angstmerkmalen können gemeinsame genetische Risikofaktorenzugrunde liegen und die ängstliche Persönlichkeitsstruktur des Individuums kann seine Entwicklung bestimmen und dazu führen, dass sich gekoppelt auftretende Ängste wie Geräuschempfindlichkeit und Trennungsangst entwickeln, sind jedoch auch ein Risikofaktor für aggressives Verhalten.
Ängstliche Hunde hatten eine signifikant höhere Geräuschempfindlichkeit (P <0,001) und Trennungsangst (P <0,001) im Vergleich zu nicht ängstlichen Hunden.
Ängstliche Hunde waren auch aggressiver im Vergleich zu nicht ängstlichen Hunden (P <0,001). 
Eine hohe Kombinationshäufigkeit zwischen den Ängsten deutet auf eine genetische Überlappung hin (Tiira et al., 2016).

Die Einflüsse der mütterlichen Betreuung wurden, wenn auch an deutschen Schäferhündinnen des schwedischen Militärdiensthundeprogramms, durch Foyer et al (2013, 2014) eindeutig dargestellt.
Junghunde, die in den ersten drei Wochen ihres Lebens von ihrer Mutter intensiv (durch soziale Körperpflege, Kontaktliegen etc.) betreut wurden, zeigten sich nahezu anderthalb Jahre später im Eignungstest für den Militärdienst an einigen Stellen ganz besonders geeignet: die physische Einsatzbereitschaft (gewissermaßen die Höhe des Bretterstapels, auf den der Hund zu springen bereit war), die Orientierung am Hundeführer/in, und die Kontrollierbarkeit des Aggressionseinsatzes war bei diesen Hunden wesentlich höher.

In Bezug auf belgische Schäferhunde des belgischen Militärdienstes zeigten die Untersuchungen von Haverbeke et al (2008, 2009, 2010), dass beispielsweise bei der Übernahme des Hundes in die Dienstausbildung ein voran gegangenes ist Gewöhnungs- und Sozialisierungsprogramm mit Menschen (durch Integration in die Familie des Hundeführer/in, regelmäßiges Spielverhalten etc.) in den Verhaltenstests zu einer geringeren Auftretenswahrscheinlichkeit von Gähnen, von Aggressionsverhalten, und einer höheren Auftretenswahrscheinlichkeit der als Selbstsicherheit und Souveränität zu deutenden aufgerichteten Körperposition führten.
Hunde, die unerwünschte Aggression zeigten, waren vor allem aus einer niedrigen Körperposition heraus aggressiv, hier zeigt sich deutlich, dass es sich hier um defensive Aggression handelt.

Nur in wenigen Testsituationen, beispielsweise durch ein bewegtes, ferngesteuertes Spielzeugauto, zeigte sich tatsächlich ein Anstieg der Bewegungsaktivität der Hunde zur Stressbewältigung, bei einer Wiederholung der Stresstests nach wenigen Wochen waren bei keinem der getesteten Hunde wiederum ein Anstieg des Cortisolspiegels, also des Stresshormonpegels zu vermerken.
Über einige konkrete Testsituationen, beispielsweise aus den Studien von Sinn et al (2010) wird in Kapitel 3 der Ausarbeitung nochmals berichtet.
Bemerkenswert an dieser Stelle ist jedoch wiederum die Erkenntnis, dass Tests in früherer Jugend, oder unter Bedingungen, die denen der späteren Ausbildung wenig entsprechen, nicht sonderlich aussagekräftig sind.

Bei Sinn et al handelte es sich um Tests, die vor dem Ankauf bzw. während der Ankaufentscheidung der Hunde (inklusive 243 Malinois) für die amerikanische Militärausbildung erhoben wurden. Die Verlässlichkeit war in diesem Falle besonders gering, wenn die Tests vor bzw. beim Einkauf mit denen nach dem Beginn der Ausbildung verglichen wurden. Viele dieser Hunde wurden, zum Teil sogar von Europa nach USA, einem längerenTransport unterzogen, und es verging auch eine Zeit von mehreren Monaten zwischen der Einkaufsuntersuchung und dem Beginn bzw. dem Test in der Ausbildung. Allgemein hat die Arbeit von Sinn et al wiederum gezeigt, dass die Wiederholbarkeit der Testergebnisse nur bei kürzeren Testabständen gegeben war. In diesem Falle handelt es sich allesamt um Hunde vom Alter ein bis drei Jahre.

Untersuchungen anderer Arbeitsgruppen, speziell im Zusammenhang mit der Blindenhundeausbildung an verschiedenen Stellen, zeigen ja regelmäßig, dass im Alter von unter 15 Monaten die Verlässlichkeit der Wiedertestbarkeit noch geringer ist als später (siehe Gansloßer und Krivy 2015). Auch hier muss nochmals auf die bereits erwähnten Daten von MacGerrity et al (2015) hingewiesen werden, wonach gerade die für die Ausbildung unter anderem besonders wichtigen Verhaltenskomplexe Trainierbarkeit, Unterwürfigkeit und Aggressionsbereitschaft mit der geringsten Übereinstimmungsquote zwischen den verschiedenen, zur Validität der Tests befragtenExperten (überwiegend Hundetrainer und andere Spezialisten) belegt wurde.
Geselligkeit mit 26% und Furcht bzw. Nervosität mit 21% waren, wie bereits erwähnt, die mit der höchsten Wiedererkennungsquote bei den verschiedenen befragten Expert/innen belegten Verhaltenseigenschaften.
2. Stadien der Welpenentwicklung

Bevor genauere Empfehlungen zur möglichst optimalen Gestaltung der Aufzuchtumgebung getroffen werden können, ist es wichtig, zunächst nochmals die Stadien der Welpen-und jungen Junghundentwicklung kurz zu rekapitulieren. Ausführlichere Beschreibungen dazu finden sich beispielsweise bei Gansloßer und Krivy 2015.

Die weitere Ausgestaltung des Gehirns und der Sinnesleistungen eines Welpen ist durchaus in den ersten Lebenswochen nach der Geburt noch sehr stark plastisch. Nach den wenigen, dazu vorliegenden Befunden ist beispielsweise die Zellteilungs- und Zellvermehrungsrate im Bereich der Nervenzellen, also auch des Gehirns, zumindest in den ersten sechs Lebenswochen noch regelmäßig beobachtbar. In dieser Zeit sind also auch verschiedene Regionen des Gehirns in ihrer späteren relativen Bedeutung zueinander noch beeinflussbar.
Im Zeitraum von der sechsten bis ca. zwölften Lebenswoche wird immer noch weiter verkabelt und verdrahtet, d.h. die auswachsenden Nervenfortsätze, sogenannte Axone, aber auch die zugehörigen Nährzellen des Gehirns, die Gliazellen, werden immer noch ausdifferenziert.
Nach dem Ende dieser Zeit finden dann überwiegend noch synaptische Verknüpfungen statt, d.h. es werden noch elektrische und chemische Kontaktstellen zwischen denNervenfasern errichtet.Das sogenannte Aktive Stresssystem, das Kampf-und Flucht-System mit den Leithormonen Adrenalin, Noradrenalin und Dopamin differenziert sich bei Hundewelpen wahrscheinlich erst ca. ab der fünften Woche.

Bemerkenswert ist, dass dies auch nach übereinstimmenden Berichten von erfahrenen Züchter/innen derjenige Zeitraum ist, in dem Babysitter und andere Familienmitglieder beginnen, die Welpen zu erziehen. Vorher herrscht tatsächlich Narrenfreiheit. Dies dürfte auch damit zusammenhängen, dass erst durch die Lernfähigkeit des aktiven Stresssystems tatsächlich zielgerichtete Vermeidungs-und andere Reaktionen auf einen erzieherischen Eingriff möglich. Erziehung ohne eine solche Lernfähigkeit führt höchstwahrscheinlich eher zu einer Aktivierung des Passiven Stresssystems und damit im schlimmsten Falle zum Phänomen zur erlernten Hilflosigkeit.
Wie bereits erwähnt, sind die Aktivitäten vor allem der Mutterhündin in den ersten drei Lebenswochen von besonderer Bedeutung.

Die Befunde von Pernilla Foyer, in Übereinstimmung mit Labortierstudien aus verschiedenen Arbeitsgruppen, zeigen hier den Schaltweg auf: einerseits werden durch verstärkte Brutpflegeaktivitäten der Mutter die Rezeptoren, die Bindungsstellen für das sogenannte Sozialhormon Oxytocinim Frontalstirnhirnbereich vermehrt freigeschaltet.

Andererseits wird durch die gleichen Aktivitäten eine Reduktion der Zellteilung im blauen Kern, dem Hauptentstehungsareal für Stressreaktionen bewirkt. Wahrgenommen werden diese Maßnahmen überwiegend durch die Tastrezeptoren auf der Haut der Welpen.
Ebenso ist aber auch noch eine zweite Rezeptorengruppe beteiligt, nämlich die Spannungs-und Dehnungsrezeptoren in der Nackenmuskulatur.

Wird eine ruhige, entspannte Säugehaltung von der Mutter eingenommen (das von Althaus als funktionelles U bezeichnete auf der Seite liegen), dann können die Welpen bei entspannter Nackenmuskulatur säugen. Steht, sitzt oder bewegt sich die Mutter dagegen während des Säugevorgangs immer wieder, dann müssen die Welpen sich mit angespannter Nackenmuskulatur zur Zitze strecken, und die Aktivitäten der Spannungsrezeptoren in der Nackenmuskulatur führen dann zu einer Verringerung der Freischaltung von Oxytocin-Rezeptoren und zu einer erhöhten Zellteilungsaktivität im blauen Kern.
Die Beobachtung der mütterlichen Brutpflege-und Säugeaktivitäten ist also von wesentlicher Bedeutung für die Züchterin, um hier gegebenenfalls gegensteuern zu können.

Untersuchungen an Labortieren zeigen noch einen weiteren wichtigen Zusammenhang in der epigenetischen Freischaltung und Beeinflussung der Rückkopplungssysteme in diesem frühen Welpenzeitraum: sowohl Mütter, die ihre Welpen zu lange alleine lassen, als auch solche, die die Welpen nie alleine lassen, verhindern eine effektive Freischaltung und Reaktionsfähigkeit der Rückkopplungskreise im Cortisol-Stress-System.

Wenn eine Mutter sich gar nicht um die Welpen kümmert, entsteht bei diesen wiederum schon in dieser frühen Phase eine Überempfindlichkeit für Cortisol im Zwischenhirn, was dann zu einer erhöhten Stressanfälligkeit führt.
Kümmert sich die Mutter aber ständig und ohne Unterbrechung um ihre Welpen, dann können die Cortisol-Rückkopplungskreise ebenfalls nicht epigenetisch freigeschaltet, und die Cortisolbindungsstellen nicht ausreichend gebildet werden. Auch diese Welpen sind dann zur nachfolgenden späteren Stressbewältigung nur unzureichend fähig.
Erfahrene Mutterhündinnen wissen, wenn gleich bei Hunden noch nicht klar ist an welchen Mechanismen, wann sie zu ihren Welpen zurückkehren bzw. wie lange sie diese alleine lassen dürfen.
Unerfahrene Mutterhündinnen benötigen auch hier unter Umständen die Unterstützung der Züchterin. Es sollte also genau beobachtet werden, wie lange sich die Mutterhündin freiwillig von den Welpen entfernt, beispielsweise zur Nahrungsaufnahme oder zum Kot-und Harnabsetzen den Welpenraum verlässt, und ob sie bereitwillig wieder zurückkehrt und in welchem Zeitabstand dies geschieht. Auch hier liegen leider keine Erkenntnisse darüber vor, wie lange das bei Mutterhündinnen normalerweise dauern sollte, ein Zeitraum von wenigen Minuten, der aus anderen Studien über die epigenetischen Mechanismen der Lern-und Gedächtnisbildung bekannt ist, sollte hier jedoch möglicherweise als Richtschnur gelten.
Zu beachten ist, dass eine Mutter unter natürlichen Bedingungen normalerweise die Wurfhöhle in diesem frühen Stadium der Welpenentwicklung (s.o.) nur verlassen würde, um außerhalb der Höhle Harn-und Kotabsatz zu betreiben, und auf dem Rückweg die zur Verfügung gestellte Nahrung mitnimmt.

In Koppelung oder parallel zu den genannten neurobiologischen Entwicklungen sind auch verschiedene verhaltensbiologische Entwicklungsstadien von Bedeutung:
Wie bereits angedeutet befinden sich die Welpen in den ersten drei Lebenswochen in der Wurfhöhle bzw. Wurfkiste, und auch unter natürlichen Bedingungen hat in dieser Zeit meist nur die Mutterhündin Zutritt.
Das bedeutet bereits, dass auch die Besuche von fremden Menschen in dieser Zeit höchst wahrscheinlich eher kontraproduktiv sind, die Züchterin alleine sollte hier als besondere Vertrauensperson der Hündin den Zutritt zur Wurfkiste haben.
Beobachtungen an Zuchtstätten mit mehreren Mutterhündinnen zeigen beispielsweise, dass in dieser Zeit selbst die ranghöhere, zum Beispiel die Mutter der Zuchthündin, keinen Zutritt haben darf.

Mit dem vollständigen Öffnen von Augen und Ohren, also der Beendigung der Übergangsphase, tritt dann eine Veränderung im Aufenthaltsort der Welpen ein. Sie werden nun an den Vorplatz der Wurfhöhle, bzw. in den Vorraumdes Welpenraums gebracht.
Die Entscheidung darüber trifft die Mutterhündin, und dann erst beginnt auch der Zeitraum, in dem nähere Familienmitglieder zu Besuch kommen. Wie bereits erwähnt, beginnen diese dann auch mit Spielen und anschließend auch mit den Erziehungsprozessen. Frühestens zu dieser Zeit sollte es angedacht werden, dass auch menschliche Besucher die Zuchtstätte aufsucht.

Ein neuer Übergang im verhaltensbiologischen Profil findet dann in der siebten Lebenswoche statt, hier ist die Ortsbindung, sei es an den sogenannten Rendezvousplatz oder an den weiterhin wichtigen und gerne genutzten Vorplatz der Wurfhöhle, sehr stark ausgebildet. In diesem Zeitraum finden nun vorwiegend auch Spielaktivitäten, sowohl mit den Wurfgeschwistern, als auch mit Babysittern und anderen Familienmitgliedern statt.

Eine individuelle Bindung an Menschen ist in dieser Zeit nachweislich noch nicht vorhanden. Eine kürzlich veröffentlichte Untersuchung zeigt sogar, dass im Alter von acht Wochen noch nicht einmal der vertraute Züchter/in als herausgehobene Bindungsperson für die Welpen Bedeutung hat. Stattdessen ist von einer allgemeinen Sozialattraktivität der Zweibeiner auszugehen, die jedoch durchaus schon genutzt werden muss, um in dieser Phase beispielsweise die Artgenossenprägung auf möglichst unterschiedlich aussehende sich benehmende und auch sprechende Menschen zu vollziehen.

Hunde werden, wie John Bradshaw zutreffend sagt, nicht schon freundlich zum Menschen geboren, sie werden geboren, um freundlich zum Menschen zu werden.
Eine möglichst breit aufgestellte, sozusagen multikulturelle Kaffeeklatschgesellschaft sollte also den Hunden vorgestellt werden, ganz besonders wichtig sind Kontakte zu Kindern.
Aufgrund unterschiedlicher Generalisationsleistungen, die bei Hunden über Größe und nicht über Form und Gestalt stattfinden, sind Kinder ansonsten für Hunde nicht automatisch als Menschen erkennbar.
Auch Menschen mit Gehilfen, Krücken, Rollator etc. sollten in dieser Zeit zumindest als neutrale bis harmlose, eventuell sogar als sympathische Sozialpartner/innen den Hunden vorgestellt werden.
Wichtig ist jedoch, wie im nachfolgenden Kapitel 3 noch dargelegt werden wird, dass hier die Welt zu Besuch kommt, und dass möglichst keine allzu großen Ausflüge in allzu große Entfernungen stattfinden.
Ebenso wichtig ist, anhand der Reaktion und des Ausdrucksverhalten individuelle Welpen zu erkennen, wann der Zeitraum der Überforderung beginnt.

Das Auflösen der Ortsbindung, damit auch das Verlassen des angestammten Heimes erster Ordnung (Rendezvousplatz, Welpengarten etc.) findet normalerweise erst mit der 14. Lebenswoche statt. Untersuchungen verschiedener Arbeitsgruppen lassen auch deutlich erkennen, dass erst mit der 16. Woche die Ausbildung einer individuellen Bindung zu einem später bevorzugten Menschen beginnt.
Auch das lässt wiederum die Praxis der frühen Abgabe der Hundewelpen in ein kritisches Licht rücken. Es wird dringend empfohlen, über die allgemein praktizierte und erlaubte Achtwochenregelung hinaus zu gehen, und frühestens mit der zehnten bis elften Woche die Übergabe in die neue Familie bzw. zu neuen Haltern zu ermöglichen.
Auch wenn, wie oben bereits dargelegt, Welpentests und Persönlichkeitseinschätzungen in diesem Zeitraum kaum reproduzierbare Ergebnisse liefern, kann durch Langzeitbeobachtungen, zu verschiedenen Tageszeiten, in verschiedenen Situationen etc. (s.o.) durchaus bereits eine Grobeinschätzung der Welpenpersönlichkeit vorgenommen werden.

Bereits mit der fünften Lebenswoche, eben gekoppelt mit der genannten Differenzierung und Lernfähigkeit des aktiven Stresshormonsystems, sind die beiden Grundpersönlichkeiten Typ A und B bereits ansatzweise erkennbar.
Welpen, die in dieser Zeit sehr viel Außenfokus zeigen, sich sehr stark an neuen Reizen, auch an neu hinzukommenden Lebewesen orientieren, und in Kontakt mit Wurfgeschwistern eher vorwitzig und naseweis erscheinen, differenzieren sich höchst wahrscheinlich später auch zu den eher aktiv bewältigenden Individuen.
Welpen, die sich in dieser Zeit eher zurückhalten, vom Rande des Geschehens beobachten, gegebenenfalls aber auch bereits in diesem Alter von ihren Wurfgeschwistern gemieden werden, differenzieren sich später eher zu dem zurückhaltenden B-Typ.
Wie nicht anders zu erwarten, kann jedoch durch eine gezielte Frühförderung der verschiedenen Welpentypen hier bereits Einfluss genommen werden, da, wie vorgestellt, die Erblichkeit ja nur um die 30% beträgt.

Der Persönlichkeitsfaktor Geselligkeit, der sich eben insbesondere durch Spielverhalten und andere regelmäßige Sozialkontakte mit Wurfgeschwistern und Babysittern ausbildet, ist im Bereich des dritten und vierten Lebensmonats von besonderer Bedeutung. Wer hier viel spielt, und mit Babysittern, also älteren oder erwachsenen Hunden mit Ausnahme der Mutter, Kontakt hat, entwickelt sich später eher zum integrationsbereiten Familienmitglied. Wer in dieser Zeit wenig Spielkontakte hat, entwickelt sich eher zum Eigenbrödler oder verlässt frühzeitig die Geburtsgruppe.

Ebenso bemerkenswert ist, dass in dieser Zeit auch die Fairness im Spiel und im Kontakt mit den Wurfgeschwistern gelernt und eingeübt wird.
Wer sich hier immer wieder unfair verhält, beispielsweise sich nach Übergriffen nicht entschuldigt, oder auch die Entschuldigung eines Wurfgeschwisters nach dessen übergriffigem Verhalten nicht akzeptiert und annimmt, wird im Spiel mehr und mehr gemieden.
Wer mehr und mehr gemieden wird, tendiert aber besonders stark zum Abwandern und zu einer weniger integrationsinteressierten Gesamtpersönlichkeit.

Ebenso haben verschiedene Untersuchungen gezeigt, dass in dieser Zeit Bereitschaft zum Soziallernen und Beobachtungslernen besonders groß ist. Nicht nur von der arbeitenden Mutterhündin (Untersuchungsobjekte hier Drogenspürhunde in Südafrika), sondern auch bei Beobachtungen offensichtlich sinnfreier Tätigkeiten der Wurfgeschwister, findet hier sehr viel Nachahmung statt. So wurde beispielsweise einem Teil eines Wurfes beigebracht, ohne erkennbare Ursache kleine Wägelchen am Schnürchen hinter sich her zu ziehen. Die andere Hälfte des Wurfes übernahm dieses Verhalten, obwohl keinerlei Belohnung oder andere äußere Beeinflussungen eingesetzt wurden.

Die Bedeutung sozialer Beobachtung, sozialer Kommunikation, und des darauffolgenden sozialen Lernens, kann aber auch im Zusammenhang zwischen Hund und Mensch eingesetzt werden. Eine Reihe der von uns vorgeschlagenen Übungen und Aktivitäten (s.o. Kapitel 3) können bereits in diesem Zeitraum eingesetzt werden. So ist die Verfolgung von Zeigegesten, Blickrichtungen etc. bei Welpen ab der achten, allerspätestens aber zehnten Woche, belegbar.
Auch wenn der Mensch in dieser Zeit noch keine individuelle Bindungsperson darstellt, ist bereits die Funktion als krisenfeste Rückzugsort, und damit eben auch als vertrauter und Vertrauen gebender Sozialpartner, in dieser Zeit einübbar.

Auch hierzu ergehen im Folgenden noch Hinweise. Die selbst skizzierten allgemeinen Entwicklungsprozesse, wie erfahrene Züchter/innen auch hier jederzeit bestätigen werden, geben nur grobe Richtwerte. Sogar innerhalb eines Wurfes von Vollgeschwistern kann die Entwicklungsgeschwindigkeit sehr unterschiedlich sein, eine typ- und individuengerechte Frühförderung muss also immer auf das Ausdrucksverhalten, und die anderen Verhaltenseigenschaften jeden einzelnen Welpen Rücksicht nehmen.

Wie Beobachtungen aus Zuchtstätten mit vierbeinigen, hundlichen Babysittern regelmäßig zeigen, können erfahrene Tanten, Großmütter etc. durchaus auch eine solche individuelle Frühförderung aktivieren. So wird zum Beispiel immer wieder berichtet, dass besonders naseweise Welpen eben besonders häufig erzogen werden, besonders zurückhaltende und vorsichtige oder sogar ängstliche dagegen begleitet werden, wenn sie es doch wagen, eine neue Situation zu untersuchen, und beispielsweise auch dadurch Körperkontakt, Danebenliegen etc. seitens der Babysitterin eine soziale Unterstützung während dieser aufregenden Tätigkeiten stattfindet. Die Anwesenheit erfahrener Babysitter, wobei die Geschlecht, Rasse, Alter oder Kastrationszustand hier nicht so wichtig sind wie die individuelle Bereitschaft, sich mit Welpen zu beschäftigen, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Gerade bei größeren Würfen, wie dies ja bei mittelgroßen bis großen Hunderassen nicht unüblich ist, ist ohne die Anwesenheit der Babysitter eine vollständige Sozialisation auf Vierbeiner nahezu unmöglich. 

Ebenso kann in diesem Zeitraum der Artgenossenprägung auch ein weiteres, erweitertes Artgenossenbild eingebracht werden, beispielsweise durch häufigere Kontakte mit einer hundeerfahrenen, aber einigermaßen sozial motivierten Katze. Vermieden werden muss auf jeden Fall, wie im Folgenden auch nochmals dargelegt wird, eine Überlappung von Artgenossenprägung, Beutereizprägung oder anderen, zu Bewegungsaktivitäten verleitenden Sinneseindrücken. Bei den meisten Hunderassen liegt diese sensible Phase für die Einprägung von Beutereizen nämlich im Zeitraum zwischen 10. und 20. Woche.
Gerade Hütehundrassen sind hier besonders gefährdet, da das Hüten bei ihnen ja auch zumindest teilweise aus dem Beuteverhalten abgeleitet wurde. Es muss also dringend darauf geachtet werden, dass die Welpen in dieser Zeit nichts jagen oder verfolgen, was sie später in Ruhe lassen sollen. Dies gilt für Wurfgeschosse, Jogger, Radfahrer, aber eben auch für Artgenossen in einem Hetzspiel. Wenn die Bedeutung des spielerischen Raufens, Balgens und Tobens immer wieder betont wird, geht es dabei eben nicht um Rennen und Jagen, sondern um eher statisch körperbetontes Spielen.
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